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Heike Pallanca bezieht sich mit ihren Skulpturen, Fotografien und Rauminstallationen sowohl auf Inspirationen, die sie aus ihrer Beschäftigung mit Geowissenschaften, Archäologie und Architektur gewinnt, als auch auf die derzeit in der Gesellschaft stattfindende Auseinandersetzung mit der Natur. Sie stellt bereits seit vielen Jahren Fragen nach den Spuren und Relikten, die wir hinterlassen und thematisiert somit das kontrovers diskutierte Anthropozän.
Dieter Kiessling, 2025
Laniakea*
Heike Pallancas in Wuppertal gezeigte Arbeiten sind stille, fast zarte Sensationen. Oft kleinteilig angelegt laden sie ein zu Reisen durch Zeiten und Räume, die so unermesslich sind, dass sie die Darstellungsmöglichkeiten der Kunst an ihre Grenzen führen. Tausende Lichtjahre lassen sich kaum gestalterisch fassen und es bedarf daher schon recht kühner Phantasien und eines weitschweifenden Denkens um eine Ahnung davon zu erlangen, welche Dimensionen Pallancas Werk künstlerisch verhandelt. Keine noch so große Form könnte ihnen gerecht werden, weshalb die Künstlerin auch keinen Kult des ‚Erhabenen‘ betreibt. Das Unermessliche soll nicht – wie beispielsweise in der Landschaftsmalerei der Romantik – durch das Übergroße erfahrbar gemacht werden, stattdessen praktiziert Pallancas Kunst eine Art bildnerisches Understatement. Gesammeltes und Gefundenes, Kleinplastisches wie beiläufig Fotografiertes werden so in Szene gesetzt, dass sie zum Sprungbrett eines spekulativen Denkens werden.
In diesem Sinne können kreisrund geschnittene Wolkenaufnahmen die Atmosphäre unseres blauen Planeten simulieren – zu sehen in der neunteiligen Wandarbeit, die unser Sonnensystem zitiert und zugleich als Entree in die Ausstellung funktioniert. In seiner Darstellung respektiert Pallanca zumeist die Größenrelationen der Planeten, verzichtet aber auf die exakte Umrechnung (und räumliche Umsetzung) ihrer Distanzen – nicht die einzige künstlerische Freiheit, die sie sich nimmt. Denn auch der wegen seiner zu geringen Masse zum Zwergplaneten degradierte Pluto taucht hier – sichtlich vergrößert – auf, während der alles Bewegenden, aber schon ein wenig verblassenden Sonne eine Position auf dem Boden zugewiesen wird. Ihre helle Form korrespondiert mit einer gegenüberliegenden, dunklen Wandmalerei, die – im gegebenen Relationsgefüge – die Größe eines Exo-Planeten, also eines Planeten jenseits unseres Sonnensystems, zur Anschauung bringt. In seine nachtschwarze Silhouette hat die Künstlerin eine Steinplatte eingelassen, deren unzählige Einsprengsel sich zu einem miniaturisierten Sternhimmel zu summieren scheinen. Tatsächlich visualisieren sie aber eine Zeitreise, da in dem Kalkgestein Tausende von Fossilien eingeschlossen sind. Ihr Zeithorizont ist ein gänzlich anderer als der der auf ihnen gelagerten gipsüberzogenen Sandrosen, bei denen man nicht sicher ist, ob man in ihnen Modelle gigantischer Asteroiden oder kristalline Bausteine der Materie sehen muss.
Dies scheint letztlich auch nicht wichtig zu sein, da sich Pallancas Kunst nicht der exakten Wissenschaft verschrieben hat. Vielmehr spielt sie ein tiefgründiges Spiel mit Zeiten und Räumen, das immer wieder auch poetische Qualitäten besitzt. Dann etwa, wenn am Ende unseres knirschenden Gangs über Jahrmillionen Erdgeschichte, die sich im Sedimentgestein des Schiefers abgelagert haben, auf einer dunkel gestrichenen Wand ein Firmament perlmutt-glänzender Schnecken erstrahlt, die zwar keine Sterne sind, dafür jedoch Bewohner eines anderen, ebenso grenzenlosen Universums, das der Meere. In exemplarischer Weise führt damit gerade diese Arbeit Heike Pallancas vor, wie sich Kunst selbst transzendiert und auf diesem Weg zu einem Sensorium für das Unermessliche und Unvorstellbare wird.
Christoph Schreier, 2017
* neuere Messungen haben ergeben, dass die Galaxie, zu der unsere Milchstraße gehört, viel größer ist als bislang angenommen. Forscher der Universität Hawaii haben das gigantische Gebilde Laniakea getauft, was in der Sprache der hawaiianischen Ureinwohner ‚unermesslicher Himmel‘ bedeutet.